Unsere Art und Weise zu denken

und warum ich glaube, dass deren Veränderung einer der Schlüssel zu erfolgreichen organisatorischen Veränderungen ist

Der Kunde

Die Art und Weise, wie wir heute in den meisten unserer Organisationen den Kunden betrachten, ist meist geprägt von einer Inside-Out-Thinking-Mentalität (ein Begriff, der von Prof. John Seddon, https://en.wikipedia.org/wiki/John_Seddon, verwendet wird).

Die dominierende Vorstellung ist, dass wir unsere Produkte am besten innerhalb der virtuellen Grenzen der Best Practices oder Erfahrungen unserer Abteilung entwerfen können und diese dann an den Kunden weitergeben.

Sobald das Produkt auf den Markt kommt, überprüfen wir anhand einer Reihe von Indikatoren, ob wir ein Produkt/Markt-Fit aus diesen Indikatoren interpretieren können und hoffen, dass wir bestimmte erwartete geschäftliche Ziele erreichen werden.

Mit anderen Worten, wir pushen unsere Ideen oft an den Kunden (intern oder extern), ob sie nun passen oder nicht. Unser Produkt-Kunden-Fit beruht meist auf geschulten Mutmaßungen. Oftmals haben wir diese auf Basis von Erfahrung und nicht auf Basis von Wissen formuliert („Ich mache das seit 25 Jahren, daher weiß ich…“). Meist wird auch wenig Zeit damit verbracht, die Gültigkeit der Annahmen, die überhaupt erst zu dem Produkt-Design geführt haben, zu beweisen.

Silos

Darüber hinaus schaffen wir Inside-Out-getriebenen „Wert“, meist auf einer linienorganisatorischen bzw. abteilungsbezogenen Ebene. Aus der gleichen lokalen Perspektive gehen wir weiterhin davon aus, dass wir wissen, was der Kunde will. Selten wird eine bereichsübergreifende Validierung der Problemlösung oder des Bedarfserfüllungsaspekts des Kunden insgesamt berücksichtigt.

Diese Trennung führt auch zu einer sich wiederholenden Wertbereitstellung. In diesem OSCON-Vortrag erzählt Simon Wardley*, dass er bei der Beratung einer globalen, größeren Organisation 380 maßgeschneiderte Versionen desselben ERP-Systems gefunden hat. Durch die Konsolidierung konnten die Kosten von £380M auf £800K gesenkt werden. Dies ist nur ein schnelles Beispiel dafür, wie ein abteilungs- oder entitätsbezogene, isolierte Kundenwert zu einer soliden finanziellen Auswirkung führen kann.

Silo-Tendenzen findet man in vielen Organisationen. Sie fördern eine Kultur, in der sich die Mitarbeiter mit einer lokalen Ebene identifizieren, anstatt sich auf den Kundennutzen im gesamten Unternehmen zu konzentrieren. Abteilungen oder Einheiten bauen Mauern zu anderen Teilen des Systems auf. Kein oberes Management fördert solche Entwicklungen aktiv. Leider wird diese systemische Entwicklung aber oft durch das Verhalten des mittleren Managements vorangetrieben, das versucht, die Karriereleiter zu erklimmen. Lokale und isolierte Leistungsanreize auf organisatorischer Ebene, wie z.B. viele schlecht designte Bonussysteme, tragen zu diesem negativen Klima bei.

Jährliche Budgetierung

Ein weiterer silorelevanter Aspekt manifestiert sich in einem stets vorherrschenden Paradigma des jährlichen Budgetierungszyklus. Zu Beginn unseres Geschäftsjahres verteilen wir die Budgets auf die Organisationseinheiten. Damit erzwingen wir ein Wettbewerbsumfeld, das kaum in der Lage ist, seine Kräfte zu bündeln. In diesem Umfeld ist der Fokus auf die Schaffung von echtem Kundennutzen nur selten zu finden. Wie sollte es auch? Wir haben lokale Interessen, um die wir uns kümmern müssen …

Eine Argumentation, wie das Jahresbudget Portfoliomanagement vom mittleren oder oberen Management verteidigt wird, klingt oft so: „Nun, wir haben in unserer Branche Regulierungen. Wir müssen unsere Budgets jährlich festlegen“. Das ist wahr, aber nicht die ganze Wahrheit. Ja, interne oder externe Compliance-Vorschriften könnten Organisationen dazu zwingen, jährlich Budgets an interne Stellen zu verteilen. Aber bedeutet das, dass es in Stein gemeißelt ist, zu welchem Zeitpunkt wir es innerhalb dieses Zeitraums ausgeben werden?

Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Mein Filialkollege Jonathan Smart** hat bei der Veranstaltung Lean Kanban Central Europe 2018 in Hamburg eine Rede gehalten und erklärt, wie sie die Arbeitsweise von Barkley’s Bank verändert haben. Im Rahmen ihres streng regulierten jährlichen Budgetierungsmechanismus verwendet die Bank nun eine Art iteratives Ausgaben Theme, das Jonathan Smart als jährliche rollierende Budgetierung bezeichnet.

Übrigens wurde die „jährliche Budgetierung“ erstmals von James O. McKinsey eingeführt und in seiner Publikation „Budgetary Control“ von 1922 dargelegt. Dieses Werk ist fast einhundert Jahre alt. Betrachtet man den Innovationszyklus (oder das Fenster der Stabilität), so ist es eine Tatsache, dass er nun auf einen sinkenden Durchschnitt von 3 Monaten zurückgegangen ist. Man könnte die Frage stellen, warum wir an einem Ansatz festhalten, der zu einer Zeit entstanden ist, in der das Innovationsfenster mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte umfasste.

Know-it-all Mentalität

Aber lassen Sie mich nochmal zurük kommen auf  Prof. John Seddon’s Terminologie Outside-in vs. Inside-out-Thinking. Einhergehend mit einer Inside-Out-Denken-Mentalität neigen Organisationen zudem dazu, sich selbst in einer Kultur der Erhaltung des Status quo zu geisseln („Wir haben es immer so gemacht und deshalb ändern wir uns nicht“). Sowohl Amazons Jeff Bezos als auch Microsofts Satya Nadella verwenden den Begriff der Know-It-All-Mentalität. Wir wissen Dinge, deshalb behalten wir den Status quo bei. Wir ändern uns nicht, weil es bedeuten würde, dass wir uns geirrt haben und versagt haben von vornherein Dinge zu wissen.

In diesen Umgebungen ist Versagen ein Ausdruck des Nichtwissens. Nicht zu wissen, ist nicht erwünscht. Wir bezahlen die Leute, um es zu wissen! Sie sind Experten, nicht wahr? Wenn ich meinen Projektleiter frage, wie lange etwas dauern wird, muss er es wissen. Oder etwa nicht? Mit all seiner langjährigen Erfahrung? Er sollte es wissen. Erkennst du das Muster? Das zugrunde liegende Denken ist, dass wir Erfahrung haben, also Wissen haben.

"You can never solve problems with the same way of thinking that created them."

In den meisten Best-Case-Szenarien sehen wir, dass Know-It-All-Organisationen Vorhersagen über zukünftige Ergebnisse deterministisch auf der Grundlage von „Yesterdays Weather“-Durchschnittswerten wie Scrum-Velocity machen. In den letzten 12 Monaten hatten wir durchschnittlich 30 User Stories pro Sprint (2-4 Wochen). Das ist es, was wir liefern werden, Funktionalität im Wert von 30 User Stories …

Dieser Ansatz mag Effizienz darstellen, muss aber nicht zwangsläufig die Effektivität offenbaren. Die Funktionalität spiegelt nicht unbedingt den Kundennutzen wider. Man kann viel Funktionalität aufbauen, ohne einen Wert zu erzielen. Man kann das Richtige bauen, ohne das Richtige zu bauen! In der agilen Community wird dies bisweilen gerne auch als „Feature Factories“ bezeichnet.

"There is nothing so useless as doing efficiently that which should not be done at all"

Auch die Vorhersagbarkeit des Wetters ist ein gutes Beispiel für die Know-It-All- vs. Learn-it-All-Mentalität. Wenn wir uns den Wortlaut einer Wettervorhersage ansehen, ist es sicher nicht „morgen wird es um 13 Uhr regnen“. Die Formulierung lautet vielmehr „mit einer Wahrscheinlichkeit von 90% wird es morgen um 13 Uhr regnen und mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% um 10 Uhr“. Dies ist ein anschauliches Beispiel für deterministische vs. probabilistische Vorhersagen. Es gibt keine Einzelwertwahrheit bei der Vorhersage zukünftiger Geschäftsergebnisse. Das Wissen in diesem Zusammenhang ist eine Illusion. Punkt.

Learn-it-all Mentalität

Betrachten wir einmal die Lern-It-All-Mentalität: In einer Umgebung, in der wir alles lernen, behaupten wir nicht, der Besitzer der einzigen Wahrheit zu sein. Wir fragen keine Projektleiter, zu welchem Zeitpunkt die Projekte im nächsten Jahr abgeschlossen werden. Wir verlassen uns nicht auf eine Singe-Value-Truth, denn wir haben gelernt, dass sie bei der Vorhersage zukünftiger Geschäftsergebnisse einfach nicht existiert. Wir führen beispielsweise eher eine Monte-Carlo-Simulation auf Basis historischer Durchlaufzeiten durch und prognostizieren die Wahrscheinlichkeit eines erwarteten Ergebnisses.

Der ein oder andere mag nun denken, dass funktieroniere in seiner Organisation nicht, man brauche klare und konkrete Termine. Nun, das ist ein valider Anspruch. Das Problem ist jedoch, bereits mathematisch sind die Chancen bezüglich der Eintrittswahscheinlichkeit einfach unvorstellbar gering. Wiederum basiert eine solche Planung rein auf wohlbegründete Vermutungen, und jeder, der einige Zeit in einer solchen Umgebung verbracht hat, weiß das. Punkt.

Entscheidungsfindung

Ein weiterer interessanter Aspekt der deterministischen Planung in einer Know-it-all Umgebung ist die Vermeidung von Entscheidungen. Die mangelnde Verlässlichkeit deterministischer Aussagen stellt ein erhebliches Risiko für diejenigen dar, die Entscheidungen auf der Basis solcher Informationen treffen. Die Ausweichstrategie ist dann oft die angeblich fehlende Feingranularität der Daten, auf denen die Entscheidung beruht. Beispiel: Der Projektplan ist nicht detailliert genug ausgearbeitet, so dass eine Entscheidung nicht möglich ist. Wir brauchen 100% genaue Daten, sonst geht nichts. Der Grund für diese Neigung, Entscheidungen zu vermeiden, ist ziemlich einfach: Die Daten, die zur Verfügung stehen, um eine Entscheidung zu fördern, basieren auf deterministischen Aussagen, und die Vergangenheit hat oft gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sie falsch sind, ziemlich hoch ist. Sie sind meist einfach nicht belastbar, und wenn Sie derjenige sind, der auf der Grundlage dieser Aussagen entscheidet, könnte die Rechenschaftspflicht einen dunklen Schatten auf Sie werfen.

Ich möchte noch einmal den Mann zitieren, der durch ständige Innovationen ganze Branchen in Angst und Schrecken versetzt, und CEOs auf der ganzen Welt geraten in Panik, wenn sie hören, dass Jeff Bezos dabei ist, ihren Kurs in Richtung ihrer Branche zu nehmen. Im Day1-Manifest stellt er fest, dass ein Day1-Unternehmen Entscheidungen mit hoher Geschwindigkeit trifft, und dass es für die Entscheidungsfindung ausreicht, wenn man etwa 80 % über das weiß, was direkt vor einem liegt.

Ein Kollege von mir, Markus Andrezak***, hat sich an er Stelle einen brillanten Begriff und eine Abkürzung ausgedacht:

"CoDoD - Cost Of Delay of Decisions (Entscheidungsverzögerungskosten)"

Ich denke, es gibt derer viele Beispiele, in denen eine Know-It-All-Umgebung sich durch zu späte oder erst gar nicht ergangene Entscheidungen schädigt oder dann letztlich durch äußere Einflüsse gezwungen wird, sich zu entscheiden.

Die „Silokultur“ macht das obere Management im wahrsten Sinne des Wortes blind. Mangelnde Transparenz und von innenpolitischen Interessen gefärbte Entscheidungsvorschläge, die auf wohlbegründeten Vermutungen beruhen, lassen das Management die Würfel rollen. Oftmals stellt keine der Würfelseiten eine Option dar, die ein Experte mit dieser Herausforderung vor Augen getroffen hätte. Der Vorteil, die Experten in den Entscheidungsprozess einzubinden, ist eine Option die nur selten wahrgenommen wird.

Wenn zusätzlich der kulturelle Status quo die Tür verschlossen hat, durch die das Management die Möglichkeit hatte, mit der Basis oder denjenigen Experten in Kontakt zu treten, die vor den größten Herausforderungen stehen, leidet nicht nur Time2Market, sondern auch die geringe Qualität der Entscheidungen kann durchaus gefährlich werden.

Was können wir tun?

Ok, genug davon, wie es nicht funktioniert. Wir wollen wissen, wie es funktioniert, richtig? Und hier kommt die einfache, aber schöne Wahrheit. Jede Organisation ist einzigartig und deshalb wissen wir einfach jetzt NOCH nicht.

Aber wir werden es herausfinden!

Hier ist meine Idee von einer Learn-It-All Organisation