Visualisierung, eine unterschätzte Waffe

Heute möchte ich mich ein wenig mit dem Grund beschäftigen, warum ich der Überzeugung bin, dass Visualisierung Unternehmen deutlich weiter bringen kann

Nehmen wir einmal das Kanban-Board. Eines der Dinge, die das Board leistet, ist die Visualisierung von notwendiger Interaktion.

Abteilung A kann nicht weitermachen, wenn Abteilung B Ihren Teil des Gewerkes nicht liefert. Eine Abhängigkeit auf Ebene der Linienorganisation. Klassiker! Wir visualisieren also eine Karte der Artefakte, die wir benötigen um dem Kunden und uns den versprochen Wert zu liefern (unsere Value Proposition). Weiterhin visualisieren wir, wie diese durch unsere interne Interaktion überhaupt zu Wert wird! Was wir nebenbei NICHT abbilden sollten, ist ein Organigramm der Organisation. Das ist für die Wertschöpfung komplett unerheblich. Wert und nichts andere steht im Zentrum einer Visualisierung durch Kanban.

Nun treffen wir uns in regelmäßigen Abständen vor dem Board. Aber was machen die Leute vor diesem Board? Sie könnten ja auch einfach Stellvertreter der Gewerke irgendwo in Meetings stecken! Wo ist der Vorteil? Was ist anders? Kurz noch mal einen Schritt zurück. Was passiert, wenn wir die Leute in Meetings stecken? Aus meiner Erfahrung wenig bis gar nichts. Zumindest ist das Wahrnehmung der Teilnehmer in 95% aller Fälle meiner Beratung oder anders ausgedrückt gesammelter Erfahrung über 25 Jahre. Meetings werden als unnötiger „Overhead“ empfunden. Warum ist das so? Aus meiner Sicht liegt das an fehlenden gemeinsamen Diskussionsgrundlagen und Kenntnis über den Gesamtzustand der Umgebung, in der sich die Akteure befinden. Simon Wardley nennt dieses „Situational Awareness“.

Typischerweise wird sich auf fachlicher Ebene über Details der Gewerke ausgetauscht. Weil das immer einen Teil der Anwesenden ausschließt, wird die Frage was WIR – und das ist ja unsere Wertschöpfung – als nächstes tun im Kontext der entsprechenden Flughöhe selten, zu wenig oder gar nicht beantwortet. Es hat einfach KEINER den Überblick und jede(r) verlässt sich auf hierarchisch über ihm/Ihr aufgestellte Linienorganisationsvertreter.

Aber was kann das Board an der Stelle besser machen? Nun, das Board schafft einen Raum und eine Sicht, in welcher wir über die Bewegung von konkreten Artefakten im Fluss der Wertschöpfung reden. Diese Zusammenkünfte sind „befreit“ von Fachlichkeit. Das ist wichtig. Es geht hier um taktische Erwägungen. Setzen wir den Läufer jetzt auf B2 oder greifen mit dem Bauern den vorgerückten Turm des Gegners an. Ziel ist es eine Gesamtsicht zu etablieren. Wir spielen ja Schach auch nicht mit der Sichtbarkeit eines Teilbereiches des Bretts.

Wichtig bei dem Gedanken der Karte, (der Map), des Boards, ist auch die Visualisierung der Veränderung. Plan, Do, Study, Act sind die vier Phasen des Deming-Cycles. Wie auch immer unser Intervall der Schleife ist, ein Tag, eine Woche, ein Monat, möchten wir wissen, wo wir stehen! Wir wollen wissen, wo wir uns auf der Karte in diesem Augenblick befinden, nachdem wir den Sechstanten gen Himmel gehalten haben. Iterativ wird bei der Seefahrt und beim Militär schon immer vorgegegangen. Auf einem Schiff muss jeder immer wissen, wo sich das Gesamtsystem Schiff befindet, egal ob er den Boden schrubbt, die Segel setzt, kocht oder der Kapitän ist. Wir können ein System nur positiv beeinflussen, wenn wir den Gesamtzustand kennen und zwar immer!

Natürlich ist das erst der Anfang. In der Regel wird mit der Visualisierung auch schnell der Überhang an gleichzeitiger Wertzuwachs-Erwartung zu Kapazität sichtbar. Das Zauberwort heißt hier Vorhersagbarkeit. Diese bleibt meist auf der Strecke, wenn das Bild des Gesamtzustandes nicht existent ist. Wie auch? Wir können ohne diese Gesamtsicht, an deren Erstellung alle beteiligt sind, kaum wissen, wann wir bereit sein werden zu feuern. Es hilft auch wenig, von Deck nach unter zu geben, dass die Kanonen schneller geladen werden sollen, ohne die Bedingungen für ein schnelleres Laden dieser zu schaffen. Servant Leadership ist hier angezeigt: „Was braucht Ihr, liebe Kanoniere, damit Ihr die Kanonen auf unser Signal schnellst möglich abfeuern könnt?“. Wenn wir also keine Kultur etablieren, in der wir auf das Signal der Kanoniere warten, bevor wir den Feuerbefehl geben und auch nicht ständig und fortlaufend an der Wertschöpfungskette „Abfeuern“ arbeiten, werden wir die Schlacht verlieren!

Aber warum sind die meisten komplexen Organisationen langsam? In Kanban Management sprechen wir in diesem Zusammenhang gerne von Work-In-Progress oder Work-In-Process des Systems. Durch die fehlende Gesamtsicht fehlt auch die Information (das Signal) wo wann Arbeit gerade „ongoing“ ist. Das führt immer dazu, dass zu viel unerledigte Arbeit im System verweilt und das System insgesamt einfach zu voll ist.

 

Stellen Sie sich einen Flughafen vor der 100% ausgelastet ist. Konsequenterweise können hier keine Flugzeuge mehr landen. Flughafenbetreiber wissen recht genau um das systemische Problem der Aus-/Überlastung, die eben nicht bei 100%, sondern schon bei etwa 85% anfängt. Ab diesem Wert etwa werden die Warteschlangen und Bearbeitungszeit exponentiell immer länger. Flugzeuge die einen Flughafen anfliegen, müssen so lange in der Luft kreisen, bis genug bereits gelandete Flugzeuge abgeflogen sind. Bezogen auf Unternehmen bedeutet das, wir müssen den Zufluss zu erledigender Maßnahmen, Programme, Initiativen, Projekte, Arbeitspakete etc, also das WIP (Work-In-Process) limitieren. Das geht nur, wenn wir auf allen Ebenen des Unternehmens diese Kapazitätssicht etablieren. Nur dann kann auch aus Management-Sicht bei klaren und auch stürmischen Bedingungen gesteuert werden. Hier geht es nicht um bequemeres Arbeiten. Hier geht es um Effektivität vs. Effizienz. Effizient sind die meisten Unternehmen heute. Aber sind Sie auch effektiv? Und wenn ja wie effektiv sind Sie? Lösen Sie Ihr Werteversprechen ein? Betrachten Sie sich selbst von der Idee bis zur Auswirkung beim Kunden?

Visualisierung ist eine mächtige Waffe, die viel zu wenig Beachtung findet in modernen Unternehmen

Kommen wir nochmal auf das Board zurück. Das Signal zu übergeben, ich bin fertig mit dem was ich tue, so dass die Information im System hinterlegt ist, stellt eine zentrale Komponente von Kanban Management dar. Das Board und die „Signalkarten“ sind das Vehikel der Information, die über die Board-Visualisierung wandert. Jetzt werden Sie vielleicht sagen, ja aber das geht ja bei uns nicht. Wir haben mini-kleine Arbeiten oder Tasks über Arbeitspakete oder Epics zu Teilprojekten oder Themes zu Projekten oder Sagas zu Programmen zu Initiativen zu Ideen, Zielen Strategien. Richtig, das ist das, wie wir meist unsere Wertschöpfung schneiden. Aber betrachten wir dabei Wert oder Organisation? Meiner Erfahrung nach wird viel zu wenig über Wert in diesem Kontext gesprochen. Organisationen wollen schlank sein. Das geht aber nur wenn man visualisiert, wo sich in der Wertschöpfungskette „Overhead“ oder „Waste“ befindet der keinen direkten Einfluss auf Wert hat.

Um nochmal auf den Ausgangspunkt des vorherigen Abschnittes zurück zu kommen, ist es beispielsweise ein probates Mittel, das gesamte Board einer hierarchisch tieferen Ebene des Unternehmen in einen Prozessschritt des darüber gelegenen zu übernehmen. Wir zoomen also raus aus den Details „Implementierung“ beispielsweise, weil es für taktische Entscheidung auf Portfolio-Ebene nur wichtig ist, wann diese anfing und aufhört. Auf diese Weise lässt sich die Wertschöpfung mit verschiedenen Zoom-Leveln versehen.

Dr. Klaus Leopold spricht in diesem Zusammenhang von Flight Leveln (www.leanability.com/de/flight-levels). Seine Analogie ist hier, dass man auf unterschiedlicher Flughöhe mehr oder weniger Details erkennt bzw. für die taktische Entscheidung braucht.

Am Ende des Tages laufen die Fäden natürlich bei der Unternehmensführung zusammen. Diese gibt die Strategie für das Gesamtsystem vor. Wie soll sich das System verhalten? Wo steuern wir (das Management) das Schiff „Unternehmen“ hin. Auch hier und gerade hier ist die Visualisierung, die Signalgebung, die Karte, die Vehikel auf der Karte, all das von entscheidendem Vorteil. Was hätte Napoleon gesagt, wenn einer seiner Generäle ihm berichten würde, er könne noch nicht genau sagen, ob das Bataillon schon in Stellung sei oder noch schöner, Napoleon hätte gar keine Karte gehabt, an der sich seine Führungskräfte versammelt hätten, um das System „Schlacht“ auf gestern, heute und morgen zu überprüfen sowie entsprechende Maßnahmen einzustreuen?

Quellen:
Dr. Klaus Leopold (www.leanability.com/),
Simon Wardley (blog.gardeviance.org),
W. Edwards Deming (en.wikipedia.org/wiki/W._Edwards_Deming)