Nicht wegschmeissen, das brauch’ ich noch …

Mein Kleiderschrank

Kennen Sie das auch? Sie stehen vor Ihrem Kleiderschrank und können sich nicht entscheiden, was Sie anziehen sollen? Nun, nichts Ungewöhnliches und auch kein Drama. Für die meisten ;-).

Was aber, hat der Kleiderschrank mit unserer Arbeit in der Unternehmenstransformation zu tun? Ich denke mehr, als auf den ersten Blick erkennbar scheint.

Vielleicht hat ja mein Kleiderschrank tolle Parallelen und Analogien, die es wert sind einmal betrachtet zu werden. Gerade auch im Hinblick auf Kanban oder auch Flight Levels und weitere agile Denkmodelle, Methoden und Frameworks.

Schauen wir doch mal ...

Eines möchte ich vorwegnehmen: Das Verhältnis meines Kleiderschranks zu mir und umgekehrt ist absolut nicht agil, und lean schon mal gar nicht.

In meinem Kleiderschrank gibt es keinen Platz!

Das war schon immer so. Ich kann mich kaum daran erinnern, dass ich ihm oder einem seiner Vorgänger je den Luxus gegönnt hätte, Freiraum zu haben. Es gehörte immer schon zu den absoluten Ausnahmeerscheinungen, Dinge direkt im Kleiderschrank hin und her bewegen zu können. Ich muss Sachen rausnehmen. Ich muss sie draußen „bearbeiten“ und sie dann wieder einsortieren. Jedes Mal steht dann da wieder ein komplett voller Schrank. Das führt auch regelmäßig dazu, dass Dinge draußen rumfliegen, die besser im Schrank aufgehoben wären. Dort, wo sie eigentlich hingehören.

Natürlich hat das auch zur Folge, dass ich die Dinge im Schrank, und die Dinge außerhalb isoliert betrachte. Sind die Dinge nicht im Schrank, fehlt mir der Kontext. Dinge, die nicht im Schrank sind, aber dort hingehören, machen an anderer Stelle eventuell Probleme. Sie können beispielsweise – generisch formuliert – zu viel Aufmerksamkeit verlangen und mich blockieren. Gerne auch mit Gedanken, wie „ach, das müsste ja mal in den Schrank zurück“. Sie können im Weg rumliegen. Das sollte ihr Aufbewahren im Schrank ja eigentlich verhindern. Ich muss vielleicht auch um sie herumgehen. Sie stören also auch andere Vorgänge. Dinge, die draußen sind, verfälschen auch meine Einschätzung über die Menge an Kleidung, die ich besitze. Vielleicht habe ich meine Kleiderschrank-Kapazität alleine deshalb schon lange „überreizt“.

"We are doomed to failure without a daily destruction of our various preconceptions."

Betrachte ich ein Kleidungsstück, welches gerade, meinetwegen, auf der Couch lag und überlege wohin damit, entsteht in meinem Kopf gerne auch mal schnell ein Bild des Schrankinhaltes. Stehe ich jedoch wieder vor dem Schrank, merke ich schnell, meine Vorstellung, mein Bild sind so gar nicht die Realität. „Ups, das hatte ich ja ganz anders in Erinnerung!“, denke ich mir. “Ist ja doch kein Platz mehr, was nun?” Tja, da hatte ich wohl eine falsche, oder vielmehr ungenaue Vorstellung des aktuellen Inhaltes meines Kleiderschrankes. Meine Erinnerung war eher eine Interpretation. Diese war zwar thematisch korrekt, aber halt nicht die Realität! Solche Dinge scheinen also automatisiert abzulaufen. Darüber machen wir uns auch gar keine Gedanken. Ich erwarte nicht, dass ich mir den Inhalt des Schrankes ständig vor Augen führen kann. Dennoch, und nun kommt die Krux, fälle ich Entscheidungen auf Basis dieser “Schrankvorstellung”. Was wäre, wenn die Entscheidungen wichtiger wären? Was wäre, wenn viel auf dem Spiel stünde?

Schaue ich mir die Dinge im Schrank einmal genauer an, so fallen mir einige Dinge auf. Im Kleiderschrank gibt es Klamotten, die ich mal neu gekauft habe, einfach weil ich vergessen hatte, dass ich sie schon hatte. Sie sind also redundant vorhanden. Es gab sie schon im Schrank. Unnötigerweise! Der Kauf war also eine schlecht informierte Entscheidung!? Oft fällt mir so etwas erst dann auf, wenn ich davorstehe. Ich überlege also, wo das „neue“ Zeugs am besten aufgehoben ist. Wende ich den Blick dann dort hin: „Ups, da liegt ja schon sowas“ (Ich rede nebenbei nicht von Dingen, von denen man ja nun mal viele hat, wie Socken, etc.).

“The purpose of visualization is insight, not pictures"

Aber es passieren auch Dinge außerhalb des Schrankes, die aber Einfluß auf seinen Inhalt haben. Vor einiger Zeit gab es einen Impuls aus der Bekanntschaft: „Hol Dir doch so ’ne mobile Kleiderstande auf Rollen. Da lässt sich temporär allerhand mal drauf hängen“. Gemacht getan! War das Ganze eine temporäre Angelegenheit? Nein! Steht das rollende Ding immer noch da? Ja! Haben wie je darüber nachgedacht, dass es ja mal eine temporäre Lösung hätte sein sollen? Nein, natürlich nicht.

Ein toller und oft unerkannter Hinweisgeber im  „private Schrankbusiness“ ist nebenbei Staub! An Staub kann man gut sehen, wie oft sich Dinge von Ihrem Ort wegbewegen. Im Kleiderschrank ist das nicht anders. Es sei denn, man hat explizit Mittel und Wege gefunden keinen Staub zu haben. In der Regel findet sich Staub aber einfach auf den Dingen, die nur rumliegen. Ich finde den Begriff rumgammeln besser an der Stelle. Alles, was die Klamotten also tun, ist Platz wegnehmen. Sie sind da, weil man sie ja mal gebrauchen könnte: „Aaaah, das ist es!“

Nochmal zurück zum Schrankinhalt. Es gibt Dinge in meinem Kleiderschrank, die waren teuer. Ob ich sie noch mag oder nicht, wird schnell zweitrangig. Sie waren halt teuer und etwas, das finanziell weh getan hat, bleibt eh schon mal per se. Das Argument: Der „geldwerte“ Verlust in der Vergangenheit. Gott, wie sentimental 🙂 Ich mag mir halt offensichtlich nicht eingestehen, dass ich etwas gekauft habe und später feststellen musste, dass es nicht zu mir passt. Oder vielleicht hat sich auch mein Klamottengeschmack über die Jahre geändert. Ganz sicher sogar.

Andere Dinge in meinem Kleiderschrank haben vor allem einen ideellen Wert. Ich verbinde Erinnerungen, Orte und Personen damit. Das wird über die Zeit nicht besser. Was meinen Sie, was wird wohl mit dem Anteil der Klamotten mit ideellem Wert in Zufunft und bei steigenden, eigenem Alter passieren?
Kleine Suggestiv-Frage :))).

Mein Kleiderschrank und ich hatten einen Moment der Wahrheit

Einige der Schätzchen der Vergangenheit (vor allem das Zeugs aus den 80er und 90ern) waren echt „edgy“. Ich weiß nicht, ob Sie das kennen, aber ich habe manchmal Momente mit meinem Kleiderschrank, an denen ich mich frage, was war eigentlich mit mir los, als ich „diese Jacke da“ als „tragenswert“ empfunden habe. Vollen Mutes und geplagt von Trennungsschmerz, brachte das Zeugs zu einem befreundeten Designer. Der nahm die guten Stücke gerne entgegen. Immerhin würde er sie verwenden wollen als Inspiration oder Weiterverarbeitung seiner Kollektionsideen. Ach, was war das befreiend! Und nebenbei, es hat natürlich nicht lange gedauert, bis er wieder voll war, der Kleiderschrank.

Mit dem kürzlichen Anlaufen meines kleinen Familienprojektes spätestens, gibt es nicht mehr nur meinen Kleiderschrank. Es gibt jetzt unseren! Es gibt nun noch eine „Playerin“. Auch sie erhebt Anspruch auf maßlose Schrank-Überlastung. Munter knallen wir das Ding voll, bis sich, im wahrsten Sinne, die Balken biegen. Oder halt Kleiderstangen. Wie man will!

Was passiert hier also?

Antwort: Wir sind dekadent! Die Wohnraumkosten und unser Platzangebot zwingen uns nicht zum Handeln. Es gibt keinen Sinn für Dringlichkeit. Das Thema bedroht uns gerade nicht. Sowas kann sich nebenbei aber schnell mal ändern.

Der Kleiderschrank und die agile Transformation

Der Kleiderschrank ist also voll. Voll mit unbeweglichen Gütern, die man aus unterschiedlichen Gründen nicht aufgeben will. „War teuer“, „Könnte man nochmal brauchen“, „Hat mir meine erste große Liebe geschenkt“. Und so weiter, und so weiter. Aber wenn wir das zuhause tun, warum sollte das auf der Arbeit anders sein? Wir schwadronieren im Lean-, oder im Kanban-Bereich, und auch in der Business-Agilität gerne vom vollgelaufenen Arbeitssystem. Oft kann sich keiner etwas darunter vorstellen.

Der Kleiderschrank ist eine Metapher. Er steht für mangelndes Veränderungsbewusstsein seiner Besitzer. Diejenigen, die den Inhalt des Kleiderschranks bestimmen. Im Kleiderschrank sind die Dinge unbeweglich geworden. Außerhalb des Kleiderschrankes, wo die Entscheidungen über den Inhalt des Kleiderschranks getroffen werden, ist jedoch Bewegung von Nöten. Jedenfalls bezogen auf die Dinge im Kleiderschrank. Die vielen Kleider verdecken uns, und vor allem dem Besitzer den Blick auf das Wesentliche. Das Ergebnis ist mangelnder Fokus. Unser Kleiderschrank ist meist auch kein „Pareto-Kleiderschrank“. Wir haben dort nicht die 20% Kleider kenntlich gemacht, die wir 80% der Zeit tragen. Es bleibt schwammig. Und das fast schon mit Vorsatz!

Wie lange werden wir uns diesen Luxus noch leisten können? Fokus sieht anders aus. Fokus impliziert auch, dass Dinge in abgegrenzten Bereichen beweglich bleiben. Dinge müssen diesen Bereich verlassen können. Sie müssen Platz machen für Neues. Sie müssen widerkehren können. Immer im Abgleich mit unserem Ziel. Jenes, worauf wir den Fokus lenken wollen. Alles das geht nur, wenn im Kleiderschrank überhaupt Platz ist. Ansonsten sind wir gezwungen außerhalb zu handeln.

"If everything is important, then nothing is."

Es ist also die Art und Weise, wie wir unser System Kleiderschrank betreiben, die viel über uns, als Organisation aussagt: Wie belastbar und flexibel sind wir noch? Können wir uns noch bewegen, oder können wir das nur noch, wenn wir die Dinge außerhalb „vorantreiben“? Können wir uns von Dingen trennen, die nicht gut für uns sind? Sind wir in der Lage zu erkennen, dass wir Dinge behalten, nur weil sie teuer waren? Was macht das mit unserer Fähigkeit den Überblick zu bewahren und Entscheidungen im Sinne der gewünschten Ergebnisse zu treffen? Was macht es mit unserer Qualität und unserem Kundenwertversprechen? Was macht es mit den Kunden? Was macht es mit den Menschen, die unsere Kleidungsauswahl „ertragen müssen“, beispielweise unsere Partnerin, unser Partner? Wann entsteht der Wert in dem Kontext? Und für wen?

Geht es nur um Freiraum, oder auch um Sinnhaftigkeit?  Ist beides nicht essentiel?